AllgemeinDas Lied von der Glocke

Juli 13, 2019

Stellen laute Kirchenglocken eine unzumutbare Lärmbelästigung dar? Warum es wenig Sinn macht, gegen das Gebimmel rechtlich vorzugehen. Nicht jeder ist hellauf begeistert, wenn in der Früh, zu Mittag und manchmal auch abends, je nach Jahreszeit wechselnd, die Kirchenglocken läuten, so wie es beispielsweise die Läuteordnung für das Salzburger Domgeläute vorsieht. Manche Anrainer, die in unmittelbarer Nähe zu einem Gotteshaus wohnen, empfinden das Glockenläuten als störend und unangenehm.

Kann man sich gegen lautes Glockenläuten zur Wehr setzen?

Grundstückseigentümer können ihre Nachbarn grundsätzlich auf Unterlassung und Schadenersatz klagen, wenn diese sie mit Geräuschen belästigen, die ortsunüblich und unzumutbar sind, sofern dadurch die Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigt wird. Dieser Grundsatz gilt auch für Kirchen. Für die Beurteilung entscheidend sind die Intensität, Tageszeit und Dauer der Immission. Gesundheitsschädliche Geräuscheinwirkungen, die etwa Schlaflosigkeit, Konzentrationsprobleme oder allgemeine Ermattungszustände bewirken, sind niemals ortsüblich – sie müssen aber geduldet werden, wenn sie beim Erwerb der Liegenschaft für den Käufer erkennbar oder vorhersehbar waren.

Darum sind Klagen meist wenig erfolgsversprechend

Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind Immissionen, die sich im üblichen Rahmen halten, von den Nachbarn hinzunehmen. Nur in extremen Fällen liegt eine Unzumutbarkeit vor, die rechtlich bekämpft werden kann. Außerdem müssen sich neu hinzukommende Nachbarn mit den im Gebiet vorherrschenden Immissionen grundsätzlich abfinden. Soll heißen: Bezieht jemand eine Wohnung oder kauft jemand ein Haus in unmittelbarer Nähe zu einer Kirche mit einem Glockenturm, dann hat er den Lärm regelmäßig zu dulden, weil ihm klar sein musste, dass von der Kirche entsprechende Geräuschimmissionen ausgehen werden. Anders wäre die Rechtslage nur dann zu beurteilen, wenn das Gotteshaus erst nachträglich, also nach Erwerb des Grundstückes gebaut wurde und folglich auch die Immissionen erst zu einem späteren Zeitpunkt auftreten. Aber auch in diesem Fall müsste das Glockenläuten ortsunüblich und unzumutbar sein, um dagegen vorgehen zu können. Eine solche Ortsunüblichkeit wurde zumindest 2015 vom Landesgericht Linz verneint. Ein Anrainer hatte geklagt, weil ihn das Schlagen der Glocken der Kirchturmuhr zu jeder Viertelstunde auch in der Nacht zwischen 22.00 und 6.00 Uhr – insgesamt waren es 222 Schläge – störte. Im Prozess behauptete der Mann, er leide an Schlafstörungen, Panikreaktionen, Schweißausbrüchen und Erschöpfungszuständen. Die Sache ging bis um Obersten Gerichtshof, der die Klage letztinstanzlich abwies.

Zulässig, obwohl gesundheitsschädigend

Selbst bei gesundheitsschädlichem Lärm besteht eine Duldungspflicht, wenn der Eigentümer einer Liegenschaft zum Zeitpunkt des Erwerbes Kenntnis von den gesundheitsschädlichen Immissionen hatte. Bei der Beurteilung kommt es nicht auf subjektive Kriterien sondern vielmehr darauf an, ob einem durchschnittlich sorgfältigen Käufer die vom Nachbargrundstück ausgehende Gesundheitsschädigung bewusst sein musste. Die Beweislast für eine allfällige Unkenntnis trifft den Grundstückseigentümer, der eine unzumutbare Lärmbelästigung behauptet. Da jedoch allgemein bekannt ist, dass Kirchen mit Glockenturm – besonders bei staatlich anerkannten Religionen – Lärm machen, wird sich der Betroffene meist nur schwer auf eine Unkenntnis berufen können.

Wie ist die Rechtslage beim Muezzinruf?

Rechtlich gibt es an und für sich keine Unterschiede bei der Beurteilung des Läutens von Kirchenglocken und des Gebetsrufs eines Muezzins. In der Lehre wird die Meinung vertreten, dass die christliche Prägung eines Landes oder die nationale Identität bei der Lösung der Frage, was ortsüblich und damit zulässig ist, keine Rolle spielen sollte. Auch der Ruf des Muezzins ist also grundsätzlich zu dulden, wenn die Voraussetzung der Ortsüblichkeit gegeben ist. Manchen Juristen erscheint eine rechtliche Gleichsetzung von Gebetsruf und Glockengeläut dennoch als unangemessen, weil das „Zeitschlagen“ der Glocken, anders als der Gebetsruf, auch weltlichen Zwecken dienen würde. Ob Kirchenglocken oder Muezzinruf: Bei der Interessenabwägung sind stets die Religionsfreiheit, aber auch das Grundrecht auf Unverletzbarkeit des Eigentums und das Recht auf Schutz der physischen Integrität zu berücksichtigen.

Warum gibt es in Österreich dann kaum Minarette?

In Österreich gibt es lediglich vier Moscheen mit Minaretten, nämlich im Tiroler Telfs, im Salzburger Saalfelden, in Bad Vöslau in Niederösterreich und in Wien-Floridsdorf. In der Steiermark ziert ein zumindest stilisiertes Minarett die Moschee des Islamischen Kulturzentrums Graz. Obwohl die Durchsetzung eines Bauverbotes, wie etwa jenes in der Schweiz, in Österreich schon verfassungsrechtlich unmöglich erscheint, führten entsprechende Bauvorhaben in der Vergangenheit immer wieder zu heftigen Anrainerprotesten – und in der Folge zu Kompromissen bei der Höhe der Türme oder zum Verzicht, vom Minarett zum Gebet rufen zu lassen. Hierzulande erweist sich vor allem die Raumordnung, die in der Hand der Bundesländer liegt, als oft schwer zu überwindende Hürde. Denn die Entscheidung darüber, ob und inwieweit Minarette ins Landschaftsbild passen, liegt letztlich bei der Raumplanung. Das Thema ist übrigens auch zehn Jahre nach der europaweit geführten Minarettdebatte immer noch brandaktuell: In Deutschland forderte die AfD erst kürzlich ein gesetzlich verankertes Minarettverbot für Bayern, doch der Landtag sprach sich im Juni dagegen aus. Der Bau von Minaretten bleibt im Freistaat sohin erlaubt.

STEPHAN KLIEMSTEIN