Alpines Gelände ist kein rechtsfreier Raum. Verunglücken Berggänger, ist das tragisch. Doch den wenigsten ist bewusst, dass komplizierte Gerichtsverfahren folgen.
Wenn der Kletterpartner auf den Partnercheck oder den Knoten im Seilende vergisst und ihm das Seil aus den Händen gleitet, sind die Folgen fast immer fatal. Es folgen emotionale Gerichtsverfahren, die sich oft über Jahre ziehen. Sachverständige suchen nach Erklärungen. Richter sollen begreifen, was kaum jemand nachvollziehen kann, der nicht selbst eine solche Ausnahmesituation erlebt hat. Freundschaften zerbrechen.
Bergsport ist riskant, das Restrisiko unvermeidbar. Und ein jeder ist grundsätzlich für sich selbst verantwortlich, wenn er sich bewusst in eine Gefahrensituation bringt. Rechtlich ist es komplizierter. Da geht es um Mitverschulden, Garantenstellung, Risikoprognosen. Regelmäßig enden Bergunfälle vor dem Höchstgericht. Was passiert, wenn eine Gruppe von Bergsteigern oder Teilnehmer einer Skitour verunglücken? Zunächst prüft die Staatsanwaltschaft von Amts wegen, ob einem der Beteiligten ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. In Frage kommen Delikte wie fahrlässige Körperverletzung, fahrlässige Tötung oder unterlassene Hilfeleistung. Bei der Beurteilung kommt es auch darauf an, ob der Führende über eine bessere Risikokenntnis und mehr Sachwissen verfügt.
Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beurteilt meist ein Sachverständiger aus dem Kreis der Alpinisten, ob und wie sich der Unfall hätte verhindern lassen. Welche Route wurde gewählt? Wie hat man sich auf die Tour vorbereitet? Welches Material wurde verwendet? Wer ist der erfahrenere Berggeher? Eine schwierige Aufgabe. Nach Abschluss der Ermittlungen kommt es zur Anklage. Oder die Behörden treten von der Strafverfolgung zurück. Häufig werden die Verfahren diversionell erledigt – sie werden also beispielsweise gegen Bezahlung einer Geldbuße oder unter Verhängung einer Probezeit eingestellt. Möglich ist das nur, wenn keine schwere Schuld vorliegt, der Verunglückte nicht gestorben ist und der Beschuldigte die Verantwortung für den Vorfall übernimmt.
Zivilgerichte entscheiden über Schadenersatz- und Schmerzengeldansprüche und darüber, ob Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Selbst bei Führungstätigkeiten, die ohne Bezahlung im Freundes- oder Familienkreis stattfinden, ist Vorsicht geboten: Auch der „Führer aus Gefälligkeit“ trägt Verantwortung für die Sicherheit seiner Begleiter und kann bei Fahrlässigkeit haften – und zwar auch dann, wenn die Begleiter ebenfalls erfahrene Alpinisten sind. Maßgeblich ist, ob ein „Führer-Geführten-Verhältnis“ vorgelegen hat. Das ist auch möglich, wenn ein Kletterer mit Erfahrung in Schwierigkeitsgraden von 7a und eine nur unwesentlich weniger erfahrene Seilpartnerin in eine Wand einsteigen.
Zwar kann bei einem Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Bergtour nie der Geübtere oder Erfahrenere allein deshalb verantwortlich gemacht werden, weil er die Führung übernommen oder das Unternehmen geplant hat. Anders liegen die Dinge aber, wenn jemand die Führung aus Gefälligkeit übernimmt und einem unerfahrenen Begleiter Gefahren und Schwierigkeiten verschweigt oder zu einer Bergtour überredet, die nicht seinem Können entspricht. Selbiges gilt, wenn die Gefährlichkeit des Abstiegs verharmlost oder gar bestritten wird. War dem erfahrenen Sportler bekannt, dass sein Begleiter die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen nicht beherrscht und gibt es eine klare Überlegenheit in Sachen Können und Erfahrung, treffen den Führer aus Gefälligkeit erhöhte Schutz- und Sorgfaltspflichten, die bei Haftungsfragen von Relevanz sind. Besondere Sorgfaltspflichten können sich aber nicht nur aus der Übernahme einer „Führerrolle“, sondern ganz allgemein aus der Übernahme von Pflichten ergeben. So entstehen wechselseitige Schutz- und Sorgfaltspflichten nicht erst durch die Bejahung der Führerqualität bei einem oder mehreren Gruppenmitgliedern. Vielmehr sind die Mitglieder einer Bergsteigergruppe zu gegenseitiger Hilfeleistung und Unterstützung bei der Bewältigung alpiner Gefahren verpflichtet, wobei der Umfang von der jeweiligen Situation, der Schwierigkeit und der Gefahr abhängt. Das gilt auch für „gleichrangige“ Mitglieder mit gleicher Erfahrung.
Ohne entsprechende Vereinbarung – eine solche kann ausdrücklich oder schlüssig erfolgen – ist natürlich niemand verpflichtet, jemanden auf eine Tour mitzunehmen und zu betreuen. Wer sich aber darauf einlässt, übernimmt Sorgfaltspflichten, umso mehr wenn er der erfahrenere Sportler ist. Dazu zählen eine ordentliche Einweisung und die Kontrolle der ordnungsgemäßen Sicherung. Eine Kletterin haftete im Verhältnis 3:1, weil sie einen Bekannten, der keinerlei Erfahrung hatte, in die Kletterhalle mitgenommen und unzureichend in die Sicherungstechnik eingewiesen hatte. In einem anderen Fall musste sich der OGH mit der Frage auseinandersetzen, unter welchen Voraussetzungen eine Haftpflichtversicherung für die Schäden aus einem Bergunfall aufzukommen hat. Geklagt wurde die Versicherung vom Versicherungsnehmer – ein erfahrener Alpinist, der aber kein staatlich geprüfter Bergführer war. Einmal im Monat war der Kläger als Ski- und Bergtourenführer für Mitglieder des Österreichischen Alpenvereins tätig. Ein Entgelt erhielt er nicht, nur einen Unkostenersatz. Als eine Teilnehmerin der Seilschaft stürzte, riss sie vier weitere Tourengeher mit in die Tiefe. Erst nach zehn bis 20 Meter konnte der Sturz durch zuvor angebrachte Eisschrauben gestoppt werden. Eine Teilnehmerin zog sich dabei schwere Verletzungen zu und klagte auf Schadenersatz. Der Hobby-Bergführer meldete den Fall seiner privaten Haftpflichtversicherung, die verweigerte aber die Deckung. Streitpunkt war die Frage, ob das ehrenamtliche Führen von Personen im alpinen Gelände eine Gefahr des täglichen Lebens ist. Die Versicherung argumentierte, der Seilführer habe eine Gefahrensituation geschaffen, in die ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht hineingeraten könne. Für derartige Aktivitäten bestünde kein Versicherungsschutz.
Die Höchstrichter waren anderer Meinung: Hochgebirgstouren, allein oder in Gruppen, seien gerade in Österreich nicht ungewöhnlich. Viele Menschen würden dieser Freizeitbeschäftigung regelmäßig nachgehen. Anders als bei einem gewerblichen Tourenführer sei es bei der Ausübung von Sportarten in Gruppen üblich und geradezu selbstverständlich, dass einer Person die Führungstätigkeit übertragen wird. In eine solche Situation könne jeder kommen, der diesen Sport ausübt. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die damit verbundene Verantwortung und die erhöhte Gefahr einer Haftung nicht ungewöhnlich sind und solche Touren daher zu den versicherten Gefahren des täglichen Lebens zählen. Die Versicherung musste zahlen.
STEPHAN KLIEMSTEIN