Ein Hund griff einen anderen an und verursachte einen Unfall. Die Höchstrichter verfolgen in diesen und ähnlich gelagerten Fällen eine klare Linie.
Wer auf seinen Hund nicht aufpasst, haftet, wenn dieser zubeißt. Was aber, wenn der Hund niemanden gebissen, sondern einen anderen Vierbeiner angegriffen und sich dessen Frauchen dabei verletzt hat? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Oberste Gerichtshof in einem aktuellen Verfahren.
Eine 72-jährige Frau ahnte nichts Böses, als sie mit dem angeleinten Hund einer Freundin einen Spaziergang machte. Auf einer Straße im Ortsgebiet lief ihr plötzlich ein anderer Hund aus der Einfahrt einer Liegenschaft entgegen. Bellend und knurrend attackierte er den von ihr geführten Hund. Der wiederum sprang mit einem Ruck auf den heranlaufenden Hund zu, wodurch die ältere Dame – von dem „Angriff“ völlig überrascht – zu Sturz kam und sich verletzte.
Weil das Tier nicht ordnungsgemäß verwahrt wurde, forderte die Frau von der Hundehalterin 15.962,34 Euro an Schmerzensgeld sowie Spesen für Pflegeaufwand, Heilbehelfe und Nebenkosten. Weiters begehrte sie die Feststellung, dass ihr die Halterin des anderen Hundes für zukünftige Schäden aus dem Vorfall hafte. Mangels Einigung ging die Sache vor Gericht. Die beklagte Hundebesitzerin brachte vor, dass sich die Klägerin bewusst für einen Spaziergang mit einem Hund entschieden habe und sich sohin auch des damit verbundenen Risikos klar sein musste.
Im Verfahren wurde festgestellt, dass sich der Hund der Beklagten zum Zeitpunkt des Vorfalls unbeaufsichtigt auf einer öffentlichen Straße befand und es ihm – schon vor dem Unfall – mehrfach gelungen war, das Anwesen der Familie zu verlassen und in der Siedlung unbeaufsichtigt herumzulaufen.
Während das Erstgericht dem Klagebegehren zum größten Teil stattgab, kam das Berufungsgericht zum Schluss, dass die Hundehalterhaftung nicht den Zweck habe, die durch die „mangelnde Beherrschung des eigenen Hundes verursachten Verletzungen zu sanktionieren“. Für die Beherrschung des geführten Hundes trage allein die Klägerin die Verantwortung, wurde sie doch durch das Verhalten des von ihr geführten Hundes umgerissen und verletzt.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hingegen sah eine Haftung vom Frauchen des unbeaufsichtigten Hundes gegeben und stellte das Ersturteil wieder her: Zwischen der Verletzung der Verwahrpflicht und den klagsgegenständlichen Schäden gebe es einen Rechtswidrigkeitszusammenhang – und zwar ungeachtet des Umstands, dass die Klägerin durch die schreckhafte Reaktion des eigenen Hundes verletzt wurde. Die Beklagte habe es ihrem Hund ermöglicht, frei auf einer öffentlichen Straße in einer Siedlung herumzulaufen, wobei es gleichgültig ist, ob der Hund bösartig ist oder nicht.
Wie der OGH ausführte, war die ruckartige Reaktion des geführten Hundes eine unmittelbare Reaktion auf den Angriff des Hundes der Beklagten. Damit habe sich eine typische Gefahr eines unbeaufsichtigten Tieres verwirklicht, die darin liegt, dass durch das Verhalten des Hundes andere Tiere aufgeschreckt werden und dadurch einen Schaden verursachen.
Gerade der im vorliegenden Fall eingetretene Schaden sei auf eine solche „besondere Tiergefahr“ zurückzuführen. Weil sie die Pflicht zur sorgfältigen Verwahrung ihres Tieres missachtet hat, haftet das Frauchen des Hundes für die Folgen des Unfalls.
Weitere Fälle von „typischer Tiergefahr“ sind zum Beispiel:
1. Eine 14-Jährige wurde von einem Hund angebellt, lief aus Angst davon, stürzte und brach sich dabei das linke Schlüsselbein. Der Halter haftete wegen nicht ausreichender Verwahrung des Tieres.
2. Ein nicht angeleinter Hund lief einem anderen nach und prallte dabei gegen das rechte Bein eines Fußgängers, der einen Bruch des rechten Schienbeinkopfes und eine Schädigung des Knorpels erlitt. Auch in diesem Fall haftete der Hundehalter.
3. Eine Frau wurde beim Spazieren im Wald von einem he rumtollenden Rüden niedergestoßen und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch, wobei ihr ein künstlicher Hüftkopf implantiert werden musste. Die Hundehalterin musste für die Folgen des Unfalls einstehen.
4. Ein nicht ordnungsgemäß verwahrter Hund lief davon, ver ursachte einen Verkehrsunfall und biss, nachdem er angefahren wurde, einen Passanten in die Hand. Der OGH bestätigte eine Haftung des Herrchens, weil es nicht gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liege, dass ein unbeaufsichtigt auf die Straße laufender Hund verletzt wird und in der Folge aus Angst zubeißt.
STEPHAN KLIEMSTEIN